Über die Gefäße von Eva Koj und Britta Hansen

von Ben Siebenrock
2008

 


 

Bei aller Jagd auf innovative Sensationen braucht man das Rad nicht jeden Tag neu zu erfinden – auch nicht die Töpferscheibe. Das Arbeiten mit ihr ist für den Töpfer ein eigener Kosmos, geprägt von Gravitation und Zentrifugalkräften. Die Akkretionsscheibe hingegen ist die kosmische Entsprechung, in der sich aus einer Gas- und Staubscheibe die Geburt eines neuen Sternes spiralig vollzieht. Die Raumzeit ist, wie wir seit Einstein wissen, gekrümmt – das Gefäß ist seine gesinterte Entsprechung im Kleinen.

Aus dem Gefäß soll im Normalfall keine Flüssigkeit entrinnen, so wie den "Schwarzen Löchern" durch die Macht der Gravitation keine Lichtstrahlen entkommen kann. Die mehr oder weniger parabolischen Grundformen der Gefäße stellen die konkretisierten Ereignishorizonte" dar, an denen sich die Materie zwischen Innen und Aussen entscheiden muss. Es kommt in diesem Bereich zu Chaosphänomenen, von denen es in der realen Keramikmaterie so gar nicht den Anschein hat: der gebrannte Ton ist weder Innen noch Aussen.

Das Dekorieren von Gefäßen ist ureigenste Äußerung von Keramik und hat seinen oft zweifelhaften Ruf dadurch erworben, dass hervorragende Kunsthandwerker ihre Stücke mit schlechter Kunst versahen oder umgekehrt.

Mit Eva Koj und Britta Hansen sind zwei Meisterinnen ihres jeweiligen Faches aufeinander gestoßen, die die Anmaßung auf ein Gesamtkunstwerk durch die Arbeitsteilung filtern und begründen.

Wenn zwei derartige künstlerische Galaxien aufeinander treffen, zerstören sie nicht gegenseitig ihre Dynamik, sondern scheinen mühelos weiter zu rotieren, aber in ihrer Gesamtheit bündeln sie ihre Anziehungskraft und überführen diese in einen höherenergetischen Zustand.

Die strengen und perfekten Formen von Eva Koj stehen im spannungsreichen, fast elektrisierendem Kontrast zu den feingliedrigen Erzählungen von Britta Hansen, die mit ihren nicht immer entschlüsselbaren Botschaften die Blicke in die Abgründe der "Schwarzen Löcher" ansaugen. Wie Spinnweben legen sich die Texte und Texturen als letztes Rettungsnetz vor die tiefere Erkenntnis beim Blick in diese Abgründe: feine EKG-Linien vom Puls der Zeit.

Die Krümmung des Raumes wird bewusst durch Verzerrungen und Überschneidungen noch surreal gesteigert, so dass sich bei bestimmten Blickwinkeln eine Simultanität der Motive ergibt. Die Entsprechung in der Kosmologie ist der sog. "Schwarzschild-Effekt". Durch ihn können wir auf die hintere "Hutkrempe" einer Galaxie blicken, weil das Licht durch das "Schwarze Loch" und dessen Gravitationskraft so abgelenkt wird, als wäre die hintere Hutkrempe hochgeschlagen. Der Effekt ist eine Art kosmischer Fata Morgana, in einem Weltenraum, der sich permanent aufbläht, just so wie unser kulturgeschichtliches Wissen immer bis zur maximalen Jetztzeit. Umgekehrt können wir auch immer weiter durch das geschichtliche "Hintergrundrauschen" die Vergangenheit bis zu den ersten keramischen Äußerungen der Menschheit zurückverfolgen.

Die Verwendung von Gold: sie erfolgt sparsam und blitzt und blendet uns aus dem lichtschluckendem Inneren und von den samtigen nachtschwarzen Oberflächen entgegen. Gold entsteht nur unter extremsten kosmischen Bedingungen – mit Silizium und seinen Nebenprodukten wie Keramik sind wir dagegen überreichlich gesegnet: wie mit Sand am Meer.

Wem die Vasen zu düster sind, der wird vielleicht noch eine Rotverschiebung der Zusammenarbeit von Britta Hansen und Eva Koj erleben, die Griechen haben ja auch erst einmal mit schwarzen Figuren angefangen – jedenfalls haben sich diese beiden parallelen Keramikseelen schon in der Unendlichkeit der Möglichkeiten getroffen.

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